Heute stelle ich mal ein etwas anderes „Schätzchen“ vor.
Es handelt sich um eine alte Wandgarderobe, zu der ich eigentlich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen bin.
Alles fing damit an, dass ich vor ein paar Wochen von einer Bekannten gefragt wurde, ob ich ihrer Tochter, die in Berlin studiert, ein paar Dinge bringen könnte. (Den Text kennen sicher alle Leute mit einem großen Auto...)
Kurz, die „Dinge“ entpuppten sich als zwei massive Schränke, welche in die Wohnung des Mädels im 3. Stock ohne Fahrstuhl mussten, aber das ist nicht die eigentliche Geschichte.
Wenn ich solche Touren mache, schaue ich immer in die Kleinanzeigen, damit ich nicht mit leerem Kofferraum nach Hause muss. Und siehe da, nur einen Bezirk weiter wurde eine „alte Garderobe“ angeboten. Zum Preis eines Kasten Bier-ohne Pfand.
Die Garderobe passte gerade so ins Auto und mit Hängen und Würgen in meinen Bastelkeller.
Tja, da stand das Ding nun. Beschichtet („Gestrichen“ wäre für das Kunstwerk eine zu hochtrabende Bezeichnung“) in einem 60er-Jahre-Krankenhausbetten-Elfenbein, die Haken zwar krumm und schief, dafür aber in ungleichmäßigen Abständen angebracht, die Hutablage entstammte wohl eher der Kombination nächtliche Bahnfahrt, Taschenmesser mit Schraubendreher und fünf Minuten Angst.
Die alte Flurgarderobe
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Als Erstes kamen die nicht-originalen Anbauteile ab. Unter den Haken war schön die Originalfarbe zu erkennen und Reste der goldenen Linierung. In die seitlichen Füllungen hatte irgendwer mal Linoleum genagelt und dick mit Farbe zugepampt-raus damit!
Auf der Rückseite die Überraschung: 27. ?. 1903. Also sogar zwei Jahre älter als mein Haus!
Jetzt musste die alte Farbe runter.
Zum Glück durfte ich diese Drecksarbeit in den Mittagspausen (und manchmal auch, wenn der Chef weit weg war...) während der Arbeitszeit erledigen. Was noch an alter Linierung erkennbar war, wurde sorgfältig vermessen und dokumentiert.
Falls es wer genau wissen will, ich habe mit Excenter, Körnungen P 120 und P 240 gearbeitet.
Es ginge auch grober, aber nach meiner Erfahrung sind dann schnell mal die scharfen Kanten der maßhaltigen Teile rundgeschliffen. -
Nach dem Abschleifen zeigte sich, dass das Holz kein billiges Weichholz, sondern Buche war. Ganz schön viel Aufwand für so ein schnödes Flurmöbel.
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Abweichend vom originalen Nitrolack sollte meine Garderobe eine eine Lackierung mit 2K Acryllack erhalten. Schließlich soll das Teil später auch genutzt werden. Und da ist es sinnvoll, wenn die Oberfläche abriebfest, problemlos abwaschbar, lösemittelbeständig und auch bei Sommerhitze nicht klebend ist.
Und für alle Originalitätsfetischisten: he – das ist keine Biedermeierkommode, das ist ein profaner Gebrauchsgegenstand, der für den Gegenwert eines Kastens Bier...ach, das sagte ich ja schon.
Zurück zur Farbgebung: Die Teile wurden mit 2K-Füller hellgrau grundiert und mit Excenter, P320, geschliffen. Wichtig auch hier, Holz niemals nass schleifen. Wer in der Schule aufgepasst hat, weiß, warum. Genau deshalb halte ich vom Abbeizen/Trocknenkammertrocknen, was einige „Restaurateure“ praktizieren, überhaupt nichts. Spätestens nach ein paar Monaten gibt’s Risse.
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Zum Glück hatte sich auf der Innenseite ein ausreichend großes Stück Originalfarbe erhalten, weder verblichen noch vergilbt, so dass ich hier den Farbton messen konnte.
Auch die Linierung musste abweichend vom Original als Spritzlackierung erfolgen. Schon im Ursprungszustand war es keine exklusive Pinsellinierung, hier hatte der Schreiner mit dem Linierrädchen gearbeitet. (Für die Laien-man sieht das an den rechtwinkligen Ansätzen, Pinsellinierungen laufen immer schräg aus)
Auch hier wieder: mehrere Stunden abkleben für ein paar dürre Striche. -
Doch das Ergebnis, sprich, die Striche, geben dem Möbel erst die gewünschte Struktur.
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Jetzt waren die Kleinteile an der Reihe. Der schöne und seltene Schirmhalter brauchte nur eine gründliche Reinigung, dann funktionierte der Schnappmechanismus wieder.
Durch meine jahrelangen Messi-Anfälle bei alten Dingen hatte ich die originalen Garderobenhaken im Schuppen liegen. Gold wollte ich nicht, also entschied ich mich für eine Art Antik-Look. -
Jetzt fehlte mir noch eine Lösung für die fehlenden Seitenblenden. Aber zum Glück ist das Internet unerschöpflich. Ich kann mich rühmen, dass für meine Garderobe sogar original Mercedes-Teile zum Einsatz kamen.
Um ehrlich zu sein, ist Mercedes im Gegensatz zu anderen Herstellern dazu übergegangen, für Transporter-Innenverkleidungen rohes Sperrholz zu verwenden. Einige sagen, primitiv-ich sage, für meine Zwecke goldrichtig.
Aus einer alten Sprinter-Verkleidung wurden zwei passende Blenden geschnitten. Geschliffen, grundiert, weiß lackiert. Und mit einer dekorativen Technik versehen.
Da sage ich aber nicht, wie ich das gemacht habe- sonst kann es ja jeder. -
Ich finde, es sind die Kleinigkeiten, die so ein Projekt ausmachen. Zum Beispiel die Scharniere des Handschuhkastens. Dick mit Farbe beschmiert und durch unpassende Schrauben verbogen.
Was tun? Variante eins: zum Baumarkt schräg gegenüber, zwei goldverzinkte Scharniere aus der Kleineisenabteilung und mit dem Akkuschrauber vier Kreuzschlitz-Schnellbauschrauben rein?
Oder Plan B, die Scharniere richten, gängig machen, entlacken, polieren und passende Senkkopf-Schlitzschrauben im Netz suchen? (gibt es im Baumarkt ja nicht mehr … )
Siehe Bilder, wofür ich mich entschieden habe. Die Scharniere haben 119 Jahre funktioniert-die können das ruhig noch etwas länger tun.
Stück für Stück nimmt die Garderobe wieder Gestalt an. -
Das letzte fehlende Puzzleteil waren die Messing-Linsen-Senkkopfschrauben für die Haken. Die gab es aus irgendwelchen Gründen nur noch in England. Und das Postboot musste wohl auf günstigen Wind warten.
Doch nun ist es vollbracht!
Den Spiegel habe ich mit voller Absicht „alt“ gelassen. Erstens wäre ein Neuer nicht mit Facettenschliff und zweitens muss ein Möbel nach über 100 Jahren nicht aussehen wie vom Repro-Antik-Händler um die Ecke. -
Sieht klasse aus :)! Und wo soll das gute Stück dann später hin?
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Die soll in meinen Flur. Der ist aber aktuell noch nicht ganz fertig.
Ich stelle mein Häuschen nächste Woche hier vor, ich bin nur gerade im Urlaub und meine ganzen Hausbilder sind auf dem anderen Rechner.
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